Karl Kutschera absolvierte eine Lehre in Wien, wo er in allen Gastronomiefachsparten ausgebildet wurde. Bevor er 1900 nach Berlin zog, war er in Hamburg im Hotel Hamburger Hof und als Schiffskellner auf der Strecke Hamburg – New York tätig. Mehrmals versuchte er in Amerika an Land zu gehen, aber seine Bemühungen waren vergeblich, da ihm die dazu nötigen Papiere fehlten. 1906 eröffnete er das Cafe Kutschera in der Bismarckstraße in Berlin. 1907 übernahm er die Bewirtschaftung des Zattersall am Kurfürstendamm.
1918 erwarb er das damalige Union-Palais am Kurfürstendamm 26 und eröffnete darin 1919 das Café Wien mit Konditorei. Das Café Wien gewann internationalen Ruf, insbesondere nachdem er das Gebäude 1926 nach seinen Plänen um- und ausbauen konnte, weil er das Grundstück 1926 erworben hatte.
Im Jahr 1929 ließ er die Kellerräume ausbauen und eröffnete im folgenden Jahr das Restaurant Zigeunerkeller mit ungarischer Küche und „Zigeunermusik“. Für den Ausbau des Zigeunerkellers war der Architekt Max Abicht zuständig. Die Raumgestaltung wurde durch den Karikaturisten A. M. Cay und den Pressezeichner Theo Matejko durchgeführt. Es war damals der flächenmäßig größte Restaurantbetrieb in Berlin unterhalb der Straßenebene.
Kutschera war Anfang der 1930er Jahre einer der bekanntesten Gastronomen Berlins. Das Weinrestaurant Zigeunerkeller und das Café Wien hatten internationalen Ruf und waren beliebter Treffpunkt für das mondäne Berlin. Von 1924 bis 1937 betrieb er auch das Kurhaus Cladow in Berlin-Kladow, wo er auch wohnte.
Ab 1936 wurden Kutscheras und seine Gaststätten Opfer der antisemitischen Verfolgung durch die Nationalsozialisten, die von einer Hetz-Kampagne des NS-Wochenblattes Der Stürmer publizistisch begleitet wurde. Der Stürmer bezeichnete das Café Wien und den Zigeunerkeller als „Judeneldorado des Kurfürstendamms“. Auf Seiten der Nationalsozialisten war unter anderem der Gestapo- und SD-Mann Heinrich Hamann für die Verfolgung zuständig. Ein Jahr und mehrere diffamierende Artikel später sah sich Kutschera zur Aufgabe gezwungen. Um den Entzug seiner Konzession abzuwenden, entschloss er sich, beide Betriebe an die nichtjüdischen Mitgesellschafter Ernst Krüger und Josef Stüber zu verpachten. Bald darauf prangte über den Eingängen das Schild „Juden unerwünscht“. Die Betreiberfirma ließ er kurze Zeit später aus dem Handelsregister löschen. Es war also nicht ein etwaiger Boykott seiner Gaststätten, der Kutschera zur Aufgabe zwang – seine Firma hatte im Vergleich zum lukrativen Olympia-Vorjahr 1936 sogar noch eine Umsatzsteigerung verzeichnen können –, sondern vielmehr der durch den Stürmer ausgeübte Druck auf städtische Behörden, der maßgebend für seine Verdrängung aus dem Berliner Wirtschaftsleben war. Noch 1937 machten seine Betriebe einen Jahresumsatz von 1,5 Mio. Reichsmark. Der Betrieb beschäftigte 154 Angestellte, darunter 13 Musiker, und war damit einer der erfolgreichsten gastronomischen Betriebe Berlins.
Kutschera zog sich nach Kladow zurück. Die Familie Kutschera wurde am 19. Mai 1943 in das KZ Theresienstadt deportiert. Während Karl Kutschera und seine zweite Frau Josephine das Konzentrationslager überlebten, wurden ihre beiden gemeinsamen Kinder, Karin-Gertrud (* 1927) und Klaus Gerhard (* 1926), im KZ Auschwitz ermordet.
Das Ehepaar Kutschera kam im Juni 1945 nach Berlin zurück. 1946 wurde das Café Wien wieder geöffnet, während der Zigeunerkeller noch unter Wasser stand.
Karl Kutschera starb als Ehrenvorsitzender der Berliner Gastwirtsinnung am 19. Mai 1950, nach seinem Tod führte seine Frau Josephine das Unternehmen bis Anfang der 1970er Jahre fort.
Vom 7. April bis 3. Mai 2013 war in der Vitrine der Zweigstelle der Deutschen Bank am Kurfürstendamm 28 die Installation des Künstlers Alexander Jöchl „Café Wien – ein Familienporträt“ zu sehen. Diese Installation war die erste in einer Reihe von acht künstlerischen Installationen des Projektes „Spuren, Hohlräume, Leerstellen – Jüdisches Leben am Kurfürstendamm“. Das Projekt des Instituts für Kunst der Universität der Künste Berlin läuft in Kooperation mit dem Archiv des Museums Charlottenburg-Wilmersdorf im Rahmen des Themenjahrs „Zerstörte Vielfalt – Berlin 1933 – 1938 – 1945“.
Literatur
Elisabeth Weber: Die Kutschera-Betriebe. „Cafe Wien” und „Zigeunerkeller”. In: Christoph Kreutzmüller, Kaspar Nürnberg (Hrsg.): Verraten und verkauft – Jüdische Unternehmen in Berlin 1933 – 1945. Berlin 2008, ISBN 978 – 3‑00 – 026811‑3, S. 44 – 48.
Christoph Kreutzmüller: Ausverkauf. Die Vernichtung der jüdischen Gewerbetätigkeit in Berlin 1930 – 1945. Metropol Verlag, Berlin 2012, ISBN 978 – 3‑86331 – 080‑6, S. 152.